Das G8 und die Lehrer

Was war das immer für ein Jammern und Stöhnen, wenn ich meine ehemaligen Kollegen an einem bayerischen Gymnasium besuchte. Sie beklagten sich regelmäßig darüber, dass die Schüler in der 13. Klasse häufiger fehlten als dass sie anwesend waren. Sie müssten entweder für den Führerschein arbeiten oder sie hätten einen Job, um das neu erworbene Auto zu finanzieren. Da war sicherlich eine Portion Übertreibung dabei. Der einmütige Tenor war jedoch, dass man die K13 streichen sollte.

Nun ist sie weg und man trauert ihr nach. Das Kernproblem bei der Umstellung von G9 auf G8 bestand meines Erachtens darin, dass man es versäumt hatte, den Unterrichtsstoff den 8 Jahren entsprechend anzupassen. Das Argument, dass unsere Schüler mehr Zeit für ihre Vereine bräuchten, wäre mit einer passenden Reduktion des Stoffes sofort vom Tisch. Wenn Gymnasiallehrer heute erzählen, wie viel Zeit sie in der G9 doch gehabt hätten, dann darf ich daran erinnern, dass es auch zu G9-Zeiten genügend Lehrer gab, die Schwierigkeiten hatten, den Lehrplan in der vorgesehenen Zeit zu erfüllen. Wie oft mussten die heißen Julitage, wenn die Schüler geistig schon beim Baden waren, herhalten, um den noch nicht durchgenommenen Stoff in Windeseile durchzupeitschen, damit der Form genüge getan war.

Ein vermutlich noch größeres Problem als die fehlende Anpassung der Lerninhalte war jedoch der Widerstand des Bayerischen Philologenverbandes gegen das G8. Wäre es gelungen, diesen Verband für das Projekt G8 zu gewinnen, hätten wir jetzt keine Probleme. Wie soll eine Veränderung gelingen, wenn die Ausführenden, in diesem Falle die Lehrer, sich gegen eine Veränderung stemmen. (Anmerkung am Rande: Ich hatte in manchen Kollegien das Gefühl, dass es eine unausgesprochene Regel gab, die da hieß: „Wer als erster das Wort Veränderung hört, der zieht die Notbremse.“) Das konnte nicht gut gehen. Mit der Verkürzung um ein Jahr mussten einige Lerninhalte gestrichen werden. Da viele Lehrer sowieso glauben, dass ihr Fach das Allerwichtigste auf dieser Welt ist, war mit diesem Wegfall von Stoffgebieten auch die Angst verbunden, an Bedeutung zu verlieren. Und bei den Starfunktionären des Philologenverbandes ging es nicht nur um zu streichende Lerninhalte, es ging um ein ganzes Schuljahr, das geopfert werden sollte. Welch eine Schmach!

Es kam noch härter. Mit der Einführung des G8 mussten die Jahrzehnte alten Unterrichtsvorbereitungen umgeschrieben werden. Für das Abitur gab es noch keine Aufgabensammlungen wie es sie für das G9 zuhauf gab. Das Resultat: Unsicherheit in Reinform. Ich habe es selbst noch erlebt, dass die Kollegen, die ihre Prüflinge auf die Abiturprüfung im G8 vorbereiteten, jedes Stoffgebiet ausführlichst behandelten, um ja nicht des Vorwurfs bezichtigt werden zu können, dass sie ihre Schützlinge nicht hinreichend auf das Abitur vorbereitet hätten. Eine derartige Unsicherheit bei den Unterrichtenden führt zwangsläufig zu Stress bei allen Beteiligten. Beim G9 wusste man ziemlich gut, wo man genauer und wo man etwas großzügiger mit der Erfüllung des Lehrplans sein durfte. Dabei hätte man doch vermuten können, dass in einem Wahljahr und dem Jahr davor die Abituraufgaben des G8 nicht allzu schwer sein würden.

Ich glaube es braucht noch etwas Zeit, bis sich die Wogen geglättet haben und ich wette, wenn die Unterrichtsunterlagen der Lehrer für das G8 einmal ein Jahrzehnt alt sind und in diesem Jahrzehnt keine Veränderungen stattgefunden haben, dann wird es einen großen Widerstand gegen die Wiedereinführung des G9 geben. Das Kultusministerium muss jetzt auf Zeit spielen oder dem Philologenverband klar machen, dass bei einer Wiedereinführung des G9 die gemeinsame Schulzeit – die Grundschule – unserer Jüngsten von zur Zeit vier auf dann sechs Jahre erhöht wird. Dann würde das Gymnasium auf sieben Jahre zusammenschmelzen. Das würde eine Machteinbuße des Philologenverbandes und eine Stärkung des Lehrerverbandes bedeuten. Ich wette, dass damit der Widerstand des Philologenverbandes sofort beendet wäre und wieder Friede in unsere Schulen einziehen könnte.

Ich selbst habe in meiner Funktion als Schulleiter an einer kleinen dt. Auslandsschule, die allerdings nur bis zur 10. Klasse führte, die Umstellung vom Lehrplan des G8 zum Lehrplan des G9 in den Jahrgangsstufen fünf bis zehn durchgeführt. Die Umstellung verlief völlig problemlos! Sie wurde von Schülern und Eltern nur am Rande bemerkt, lediglich eine Geschichtslehrerin grandelte etwas, konnte aber schnell beruhigt werden.

Und noch ein Wort dazu, dass unsere Schüler ein Jahr mehr Zeit bräuchten, um für das Studium reif zu sein: Unsere Gesetze attestieren den Menschen mit 18 Jahren die Volljährigkeit. Sie dürfen ein Auto fahren und wählen. Ja sie durften bei einem Einsatz in Afghanistan darüber entscheiden, wann sie zur Waffe griffen und damit in Kauf nahmen, einen anderen Menschen zu töten. Und da glauben einige wirklich, unsere Schüler bräuchten in der Schule ein Jahr mehr Zeit zur Entfaltung.

Im Übrigen glaube ich, dass man mit dem G8 endlich etwas gefunden hat, das man für alles verantwortlich machen kann. Früher war, aus der Sicht der Eltern, der Lehrer schuld, wenn der Sprössling mit schlechten Noten nach Hause kam, aus der Sicht des Schülers war es ebenfalls der Lehrer, der den Stoff nicht gut erklärt hatte, aus der Sicht des Lehrers war es der Schüler, dem Begabung oder Fleiß fehlten, oder es waren die Eltern, die in ihrem Streben nach Höherem das Kind in eine Schulform zwängten, für die es halt nicht geeignet war. Heute werden sämtliche Unzulänglichkeiten dem G8 zugeordnet. Der alle Schuld tragende Sündenbock ist gefunden.

Was wir ebenfalls bräuchten, um der Diskussion um G8 oder G9 etwas an Bedeutung zu nehmen, wäre eine höhere Wertschätzung all jener, die mit 15 oder 16 Jahren einen Beruf ergreifen und die in dem Alter, in dem die Gymnasialschüler das Abitur machen, bereits mehrere Jahre in ihrem Beruf geschuftet haben. Würde man das Abitur nicht zum Gradmesser für den Wert eines Menschen hochstilisieren, dann würden wir vor allen Dingen in den weiterführenden Schulen viel Stress von unseren Kindern nehmen. Die Grundlage für ein gelungenes Leben ist echte Bildung, auch Herzensbildung, und darf nicht mit Zertifikaten verknüpft werden.

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