Ich musste mir die Augen reiben, als ich las, dass der ehemalige Minister de Maiziere an der Vorlesung seines Buches gehindert wurde. Wie konnte es in unserer Gesellschaft so weit kommen, dass ein so harmloser Tropf wie de Maiziere nicht aus seinem Buch vorlesen konnte. Kam es zu Festnahmen? Nein. Zu Anzeigen? Ich weiß es nicht. In derselben Woche verbot die Uni Hamburg Herrn Lindner, in den Räumlichkeiten der Uni einen Vortrag zu halten. Gerade die Universitäten sollten ein Ort der Diskussion und ein Ort des Ringens um Wahrheit sein. Zu guter Letzt gab es noch den Fall Lucke. Er wurde massiv daran gehindert, seine Vorlesungen zu halten. Griff der Rechtsstaat ein? Nein. Wer ist eigentlich für die Durchsetzung der Meinungsfreiheit und damit des Rechtsstaats verantwortlich? Es waren übrigens durchweg Personen aus dem linken politischen Spektrum, welche die oben erwähnten Veranstaltungen sabotierten.
Andererseits waren auch linksgrüne Politiker von einem seltenen Verständnis von Meinungsfreiheit betroffen. Frau Künast musste sich von einem Richter sagen lassen, dass sie die üblen Beschimpfungen, denen sie sich ausgesetzt sah, ertragen müsste. Unglaublich. Denken wir an Jan Böhmermann, dessen völlig unflätige Beschimpfungen gegenüber Erdogan als Kunst geadelt wurden. Wurde Böhmermann wegen Beleidigung verurteilt? Natürlich nicht. Der Rechtsstaat funktioniert offensichtlich nicht mehr. Die Polizei greift nicht ein, die Richter wiegeln ab. Irgendwie ist in unserer Gesellschaft der gesunde Menschenverstand und sind einige Grundregeln des Miteinanders abhandengekommen. Wie konnte es soweit kommen?
Ist es das Internet, das vielen Menschen, die sich sonst nicht ernst genommen und auch nicht beachtet fühlen, die Gelegenheit gibt, ihren Frust über Nichtbeachtung los werden zu können. Der einzelne Bürger ist tatsächlich relativ machtlos, wenn es darum geht, seine Meinung zur Geltung zu bringen oder sie gar durchzusetzen. Ein schönes Beispiel für die Missachtung der Bürgermeinung ist der Umgang mit der Zeitumstellung. Zuerst wurden die Bürger um deren Meinung gebeten und dann blieb das eindeutige Votum nach einem Ende der Zeitumstellung in Brüssel unbeachtet. Aber nicht nur das oben erwähnte Internet ist schuld an der Verrohung des Umgangs miteinander, auch die Medien und die Politiker tragen ihren Teil dazu bei.
Als unerträglich empfinde ich es z.B., dass man in den Medien und in Politikerkreisen grundsätzlich von den demokratischen Parteien spricht und damit ständig die AFD ausschließt. In Sachsen haben 27% der Bürger die AFD gewählt. Was macht das mit diesen Wählern, wenn man sie a priori abqualifiziert. Sind sie alle keine Demokraten, nur weil sie eine andere Meinung haben. Dass so viel Hetze zu Gegenreaktionen führt, ist nicht verwunderlich. Dabei wäre es doch mal interessant zu fragen, warum so viele Menschen die AFD wählen. Die Analysen in Thüringen haben gezeigt, dass es mehrheitlich Protestwähler sind, die der AFD ihre Stimme geben. Wogegen protestieren diese Menschen? Doch wohl gegen jene Zustände, welche die Landesregierungen und die Bundesregierung zu verantworten haben. Der Ball liegt im Feld der regierenden Parteien. Sie haben dafür zu sorgen, dass die Belange dieser Menschen Gehör finden. Nach unserem Grundgesetz hat jeder Mensch das Recht, seine Meinung frei zu äußern unter dem Vorbehalt, dass damit andere nicht beleidigt werden oder zur Gewalt aufgerufen wird.
Meinungsfreiheit ist die Grundlage unserer Demokratie. Die Grundlage für Meinungsfreiheit ist Toleranz. Apropos Toleranz: Was sind das für Menschen, die ein Produkt aus ihren Verkaufsständen nehmen mit der Begründung, dass der Lieferant ein Mitglied der AFD ist. Oder wenn in Berlin ein Kind nicht in einen Waldorf-Kindergarten aufgenommen werden sollte, weil der Vater AFD-Politiker ist. Rudolf Steiner würde sich bei soviel Intoleranz im Grabe umdrehen. Die Grundlage für Toleranz ist der Respekt vor dem anderen. Dass es so viele Probleme im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit gibt, mag wohl am mangelnden Respekt liegen, den wir anderen gegenüber entgegenbringen.
Wir sollten mal den Dingen auf den Grund gehen. Und wir sollten den Mut haben, unsere Meinung klar zum Ausdruck zu bringen, mit möglichst wenig Emotionen. Dass dies immer weniger der Fall ist, sehe ich bei den Diskussionen mit Freunden. Zu bestimmten Themen wird geschwiegen oder sie werden kunstvoll ausgeklammert, wohl aus Angst, das Gespräch könnte eskalieren – als Angst dem linken oder – vor allen Dingen – dem rechten Rand zugeordnet zu werden. Man bemüht sich auch im privaten Umfeld ganz offensichtlich um political correctness. Mit dieser political correctness erzeugt man einen Pol, der zwangsweise einen Gegenpol erzeugt. Dieser Gegenpol ist der hemmungslose Gebrauch von verbalen Entgleisungen. Weder das eine noch das andere ist gesund. Wir sollten die Pole verlassen und uns wieder ein Stück näher zur Mitte hin bewegen: Die political correctness verlassen und uns klar positionieren, ohne dabei zu verletzen.
Andreas Angermeir