Das Thema Organspende hat den Bundestag intensiv beschäftigt und zu einer ganz klaren Ablehnung des eingebrachten Gesetzentwurfs geführt. 56 % der Abgeordneten stimmten gegen die von Spahn eingebrachte Widerspruchslösung, obwohl die Bevölkerung – nach allen Umfragen definitiv über 50% – ganz klar für eine Widerspruchslösung ist. Dieser Hinweis nur am Rande. Er zeigt ganz offensichtlich, dass ein Parlament konträr zum Volkswillen abstimmt, obwohl es doch den Willen des Volkes abbilden sollte. Wahrscheinlich ist im Parlament die Volksmeinung schon oft konterkariert worden. Soweit der Einschub.
Ich persönlich hätte mich für die Widerspruchslösung entschieden, gepaart mit einem Onlineregister, in das man sich eintragen kann und in dem man festlegt, ob man für eine Organspende bereitsteht und ob man selbst überhaupt ein Organ gespendet haben will.
Nach der Bundestagsdebatte habe ich mir drei Fragen gestellt:
Sind wir Deutschen zu dumm, um unseren Willen kundzutun? Wir sind in der Lage, uns auf eine Ehe einzulassen mit weittragenden Verpflichtungen das ganze Leben betreffend; wir sind in der Lage, uns für oder gegen Kinder zu entscheiden; wir schließen Versicherungen ab; wir treffen ständig Entscheidungen, tagtäglich, unaufhörlich. Und genau in Sachen Organspende sind wir unfähig, uns klar zu positionieren. Wir sind nicht in der Lage, ein Kreuzchen bei Ja oder Nein zu machen.
Sind wir Deutschen zu faul, um uns mit dieser Frage zu beschäftigen? Wir können uns auch nach einer 50 Stundenwoche noch stundenlang mit unseren Hobbys oder mit der Planung unseres Urlaubs beschäftigen, aber ein Kreuzchen bei Ja oder Nein zu machen, überfordert uns.
Sind wir Deutschen so unsozial, dass wir weder ein Ja noch ein Nein irgendwo eintragen wollen und damit unseren Angehörigen die Entscheidung in einer äußerst schwierigen Situation überlassen? Wenn kein Ausweis vorliegt, müssen die nämlich für uns entscheiden. Wenn nur ein Drittel aller Bürger einen Organspendeausweis ausgefüllt hat, dann zeigt dies doch, dass sich zwei Drittel der Menschen nicht wirklich um dieses Thema kümmern. Sind wir Deutschen diesem Thema gegenüber völlig gleichgültig? Sind uns unsere Mitmenschen, auch unsere Angehörigen völlig egal?
Allen Gegnern der Widerspruchslösung kann ich nur sagen: Der Staat entscheidet überhaupt nicht für mich. Ich selbst bin es, der Ja oder Nein sagt. Selbst wenn ich, aus welchen Gründen auch immer, Nein zur Organspende sage und mein Organ nicht anderen Menschen zur Verfügung stellen will, ist mit meiner Entscheidung kein Nachteil für mich verbunden.
Nach der jetzigen Regelung müssen sich Patienten in regelmäßigen Abständen mit ihrem Hausarzt auf eine Diskussion über Pro oder Contra Organspende einlassen. Das ist für Menschen, die Nein sagen wollen, möglicherweise viel unangenehmer als wenn sie auf ihrem Organspendeausweis oder im Onlineregister ein Nein festlegen. Oder sie müssen im Einwohnermeldeamt mit dem dortigen Angestellten diskutieren, wenn sie sich einen neuen Ausweis ausstellen lassen wollen. Eine schlichte Aushändigung eines Handzettels wird wohl nicht genügen. Diesen bekommt man sowieso in regelmäßigen Abständen von der Krankenkasse zugestellt. Es sind jetzt schon die Krankenkassen, die uns immer wieder an die Organspende erinnern.
Wenn ein Bundestagsabgeordneter in der Debatte sagt, dass er die Widerspruchslösung ablehne, weil er im gegenwärtigen Augenblick nicht wisse, ob er sich für oder gegen eine Organentnahme entscheiden soll, dann kann ich ihm nur zurufen, dann kreuze einfach Nein an, dann bist du auf der sicheren Seite und wenn du dich anders entscheiden willst, dann kannst du deine Entscheidung jederzeit ändern. Was soll man mit einem Abgeordneten, der keine Entscheidung treffen kann!
Andreas Angermeir