Vor mir liegen die Stimmzettel für die Kommunalwahlen. Über 600 KandidatInnen stehen zur Verfügung. Ich durchforste die ewig langen Listen und stelle fest, dass ich nur ganz wenige der Kandidaten so gut kenne, dass ich mir ein wohl fundiertes Urteil erlauben kann. Soll ich nun nach all den über 600 KandidatInnen googlen? Hilft mir das wirklich oder soll ich einfach nur einer Partei meine Stimme geben in der Hoffnung, dass dann schon die richtigen Bewerber zum Ziel kommen? Oder soll ich einfach nur würfeln? Ich schaue auf die Listen und stelle fest, dass neben den Namen der Bewerber auch noch deren Berufe stehen. Das ist auch keine wirkliche Hilfe, da ich aus den Berufen nicht zwingend auf die Kompetenz der Bewerber schließen kann.
Ich frage mich, ob es nicht wesentlich besser wäre, die Gemeinderäte/Kreisräte per Los aus der Bürgerschaft zu wählen. Natürlich werden auch ein paar Nieten dabei sein. Das ist unvermeidlich. Vermutlich wird es allerdings bei jeder Art der Auswahl ein paar Nieten geben, auch bei Wahlen im herkömmlichen Format. Sollte ein per Losverfahren ausgewählter Kandidat die Wahl nicht annehmen wollen, wird ebenfalls per Los – oder dem IT-Zeitalter angemessen per Zufallsgenerator – der Nachrücker bestimmt. Auf diese Art und Weise würden – also selbst bei einem Losverfahren – nur solche Mitglieder in den Gemeinderat/Kreistag kommen, die bereit sind, dort zu arbeiten. Dieses Verfahren würde erhebliche Kosten sparen und man hätte Bürger im Gemeinderat/Kreisrat, die – durch das Losverfahren bedingt – nicht aus persönlichen Interessen in dieses Amt gelangen. Ob sich alle, die sich gegenwärtig um das Amt eines Gemeinderats oder Kreisrats bemühen, sich nur deshalb darum bemühen, weil sie der Gemeinde dienen wollen – welch hehres Wort -, wage ich zu bezweifeln.
Auf Grund meiner Lebenserfahrung bin ich überzeugt, dass ein Bewerber in der Regel deshalb ein Amt anstrebt, weil er seine ganz persönlichen Vorstellungen umsetzen will oder weil er einer ganz bestimmten Partei zu Mehrheiten verhelfen will. Ein per Losverfahren ins Amt gebrachter Gemeinderat/Kreisrat kann bei einzelnen Abstimmungen unabhängig von irgendwelchen Parteiinteressen oder sonstigen Verfilzungen frei entscheiden, schon deshalb, weil er eine Wiederwahl nicht im Blick haben muss.
Was passiert, wenn von Parteioberen gefordert wird, dass sich die einzelnen Parteimitglieder wie stramme Parteisoldaten – das Wort Parteisoldat muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – zu verhalten haben, konnten wir alle im Thüringer Parlament erfahren. Das waren doch angeblich allesamt hochkompetente Politprofis. Und dann so eine Murkserei. Wenn mein vorgeschlagenes Verfahren auf kommunaler Ebene gut funktioniert, dann könnte man dieses Verfahren auch auf der Landes- und Bundesebene einführen und hätte das gesamte Parteienkonstrukt mit einem Schlag aufgelöst. In den Parlamenten würden unabhängige Bürger sitzen, deren Ziel es ist, das jeweils anstehende Problem sachorientiert zu lösen und nicht auch noch Aspekte einer Partei im Blick haben zu müssen. Durch das Losverfahren sind sie ein – zumindest weitgehend – echter Spiegel der Gesellschaft. Die Spaltung der Gesellschaft, wie sie sich jetzt anbahnt, gäbe es vermutlich nicht. Keine Probleme mit der Linken, keine mit der AFD, keine mit den Grünen, keine mit der CSU, keine mit … Ach wie schön. Ich freue mich schon auf die friedliche Zeit, in der das von mir vorgeschlagene Model Wirklichkeit wird.
Andreas Angermeir