Der Kanzlerkandidat

Es gibt keine deutsche Zeitung, die in den letzten Tagen nicht mindestens einen Kommentar zum Thema „Verschiebung des CDU-Parteitags“ zum Besten gab. Ich mache es jetzt auch. Hier meine Meinung.

In den Umfragewerten werden die Aussagen, die Friedrich Merz am 26. Oktober 2020 öffentlich machte, sich vermutlich negativ für Merz bemerkbar machen. Warum eigentlich? Was hat Merz gemacht? Er hat laut ausgesprochen, was jeder, der bis drei zählen kann, sowieso schon weiß. Es ist die Tatsache, dass eine Verschiebung des Parteitags für den Kandidaten Laschet hilfreich ist, und dass Laschet aus diesem Grund und wohl auch Merkel, unentdeckt als Strippenzieherin im Hintergrund, alles tun, um den Parteitag solange hinauszuzögern, bis erkennbar wird, dass die Chancen von Merz auf den Parteivorsitz immer geringer werden.

Laschet lag bis zum Verkünden der Verschiebung eindeutig hinter Merz und hätte bis zum 04. Dezember keine Chance gehabt, die Umfragewerte deutlich zu seinen Gunsten zu verändern. Für Laschet geht es jetzt in erster Linie darum, Zeit zu gewinnen. Laschet hat Merz in eine Falle gelockt und Merz ist darauf hereingefallen. Er hat die Schwäche von Merz, die darin besteht, auch mal sehr direkt und emotional zu reagieren, erkannt und ihn mit der Verschiebung des Parteitags vermutlich bewusst provoziert. Und Merz hat prompt reagiert. Merz hat seinem Ärger sofort Luft gemacht und mit kernigen Schuldzuweisungen gegenüber Teilen des Parteiestablishments der CDU zu heftig ausgeteilt; und das wird ihm Stimmen kosten. Das Verrückte daran ist, dass man ihm diese Kritik übel nimmt, obwohl sie stimmt. Das Volk – zumindest die Presse – will offensichtlich niemanden an der Spitze sehen, der die Dinge beim Namen nennt und damit die Harmonie stört. Die Mehrzahl der Deutschen hat sich nach 20 Jahren Merkel, Parteivorsitzende bzw. Kanzlerin, so sehr daran gewöhnt, mit political corectness eingelullt zu werden, dass jeder Versuch, die Wahrheit offen auszusprechen, brüsk als Untat gebrandmarkt wird. „Das macht man doch nicht.“ „Das kann man sich vielleicht denken, aber das kann man doch nicht so direkt aussprechen.“ „Nein, das geht gar nicht.“ Vielleicht ist aber auch die Sehnsucht nach Harmonie im deutschen Wesen angelegt? Wer kann das sagen? Merz hat vor langer Zeit schon einmal spontan reagiert und gegen Merkel verloren und jetzt passiert dasselbe offensichtlich noch einmal.

Das Spannende ist, ob sich Jens Spahn an die Abmachung mit Laschet hält, als Team mit diesem Laschet agieren zu wollen oder ob er Laschet abservieren wird, wenn er erkennt, dass Laschet sich nicht gegen Merz behaupten würde. Somit könnte Spahn neuer Parteivorsitzender werden. Wer wird dann Kanzlerkandidat? Würde Spahn seinem Teamkollegen Laschet den Vortritt lassen? Das Verhalten von Laschet lässt nur einen Schluss zu. Er will unter allen Umständen ins Kanzleramt. Alle Manöver zeigen, dass er nichts unversucht lässt, um an sein Ziel zu kommen. Dann hätten wir nach der nächsten Bundestagswahl höchstwahrscheinlich einen Mann im Kanzleramt, der sich bestens als Karnevalsprinz eignen würde, nicht aber als Kanzler. Ein Karnevalsprinz als Kanzler, eine schreckliche Vorstellung.

Und was ist mit Söder? Söder hat nur dann eine Chance auf eine Kanzlerkandidatur, wenn Merz der Parteivorsitzende wird. Dann könnten sich die anderen Alphatiere in der CDU hinter Söder versammeln, um Merz zu verhindern. Auch Söder hatte sich – genau wie Laschet – für eine Verschiebung des Parteitags ausgesprochen. Warum? Man kann nur spekulieren. Während Laschet sich von der Verschiebung des Parteitags Vorteile gegenüber seinem Hauptkonkurrenten Merz verspricht, könnte Söder darauf spekulieren, dass sich die Kandidaten der CDU so ineinander verkeilen, dass nur er als deus ex machina als Kanzlerkandidat in Frage kommt.

Wer immer Kanzler werden wird, der Weg bis zur Wahl des Kanzlers zeigt, dass bei der Bewerbung um das Kanzleramt in erster Linie Egoismen die entscheidende Rolle spielen. Stopp. Da gab es doch noch einen ehrenwerten dritten Kandidaten. Was ist mit Norbert Röttgen? Er ist so unbedeutend, dass man ihn getrost außer Acht lassen kann. Die besten Chancen, der nächste Kanzler zu werden, hätte vermutlich Olaf Scholz, wenn er denn nur von der SPD zur CDU konvertieren würde.

Andreas Angermeir

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