Die ersten paar Seiten in dem über 1.200 Seiten umfassenden Werk „Kurs in Wundern“ sind eine regelrechte Rechtfertigungsorgie darüber, weshalb man das Buch aus dem Englischen genau so übersetzt hat und nicht anders. Hat ein Buch mit so einem hohen Anspruch das nötig?
Etwas anmaßend scheint mir die Behauptung, dass der eigentliche Autor niemand geringerer als Jesus ist. Da habe ich meine erheblichen Zweifel. Jesus kann schon deshalb nicht der Autor sein, weil Jesus wohl nie ein Buch ausschließlich für Akademiker geschrieben hätte. Beim Lesen hat man nämlich das Gefühl, dass hier jemand eine Doktorarbeit in Religion, Psychologie oder in Philosophie angefertigt hat. Manche Passagen sind in so einem verschwurbelten Deutsch geschrieben, dass man die Lust am Lesen verliert. Mit der Zeit gewöhnt man sich allerdings an den Stil. Für Frauen muss das Buch ein Gräuel sein, da grundsätzlich nur Männer vorkommen. Es wird immer nur von den Söhnen Gottes und deren Sohnschaft gesprochen. Wären da nicht die Wörter Kind und Kindschaft besser gewesen?
Sieht man sich die Umstände und die Zeit, in der dieser Kurs entstand, genauer an, dann lässt sich einiges besser verstehen. Der Kurs ist in den 70 er Jahren geschrieben worden. Also etwa in einer Zeit, als sich in der Psychologie die Idee durchgesetzt hatte, dass man Glaubenssätze, die den Menschen belasten, eliminieren müsste, um die Psyche zu heilen. Wie das funktionieren kann, hat ein katholischer Missionar in dem Buch „Der begeisterte Selbstmord“ drastisch beschrieben. Das Buch beschreibt die Gehirnwäsche in chinesischen Umerziehungslagern. Der Mensch wird umgebaut, alte Glaubenssätze werden durch neue ersetzt. In USA entstand in dieser Zeit NLP – die neurolinquistische Programmierung. Auch Osho hat in sehr radikaler Art und Weise versucht, die Menschen von ihren Glaubenssätzen zu befreien. Meines Erachtens wird der Leser in dem Buch „Kurs in Wundern“ ebenfalls einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen. Das Prinzip dabei ist so wie oben beschrieben: Alte Glaubenssätze werden durch neue ersetzt. So soll aus einem egozentrierten Menschen ein aus Gott heraus lebender Mensch werden. Vielleicht erreicht man das ja bei gefügigen Lesern und vielleicht sind diese nach dem Kurs sogar erleuchtet. Schaden kann die Lektüre dieses Buch sicher nicht. Vielleicht entsteht ja aus einem bösen Ego ein liebenswertes Ego. Trotzdem frage ich mich: Was ist das Austauschen von Glaubenssätzen wert, wenn dabei nur das Ego umgestaltet wird, ohne tiefere Erkenntnis zu erlangen? Wenn man sich für den Kurs entscheidet, dann sollte man sich im Klaren darüber sein, dass man sich einer Gehirnwäsche unterziehen muss, um den Kurs erfolgreich absolvieren zu können. Ich weiß jedoch nicht, wie der Kurs bei einer kritischen Einstellung erfolgreich sein kann.
Vielleicht sollte man sich nur mit den Lektionen beschäftigen und dort auch nur mit den Kapiteln, die einem sinnvoll erscheinen.
Interessant ist auch das Zustandekommen und die Wirkung des Werkes bezüglich der Initiatorin des „Kurses in Wundern“, Helen Schucman. Sie war zuerst einmal Baptistin, eine Gottessucherin, die nach erfolgloser Suche zur Atheistin „konvertierte“. Später studierte sie Psychologie und wurde Professorin, die in ständigem Konflikt mit ihrem Vorgesetzten war. Dass bei soviel Ärger mit ihrem Chef das Wort Vergebung eine erhebliche Rolle spielt, kann man sich gut vorstellen. Auf diesen Grundpfeilern ihrer Persönlichkeit und der in der Psychologie modern gewordenen „Glaubenssätzetheorie“ entstand das Werk „Kurs in Wundern“. So kam es zu diesem voluminösen, extrem kopflastigen Werk.
Ich frage mich bei allen großen Lehrern, wie die praktische Umsetzung der von ihnen vertretenen Theorie aussieht. Helen Schucman, die in ihrem Werk immer wieder von Heilung und auch von Krankheit spricht, erkrankte ein paar Jahre nach Erscheinen ihres Werkes an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dieser Krankheit erlag sie im Jahr 1981. Das ist traurig und passt so gar nicht zu den Aussagen ihres Buches.
Ein wichtiger Punkt in ihrem Werk ist die Angst. Um die zu überwinden, gibt es meines Erachtens eine ganz einfache Botschaft: öffne dein Herz. Wer sich nicht mit Hilfe von neuen Glaubenssätzen und ausgefeilten Theorien an die Öffnung des Herzens heranwagen will, der sollte sich vielleicht einen Welpen, einen kleinen Hund anschaffen und sich um ihn mit bedingungsloser Liebe kümmern. Der Hund wird es einem danken und zu einem wunderbaren Herzöffner werden. Für diejenigen, die ihr Herz geöffnet haben, gibt es dann keine Angst mehr. Sie haben das Prinzip Liebe verinnerlicht.
Andreas Angermeir